Rechtzeitig Wandel vor Ort gestalten – macht´s ein Biosphärengebiet möglich?
Alleshausen-Seekirch. In der Federseehalle in Alleshausen-Seekirch fand am 29. November 2024 bereits die fünfte Sitzung des Dialogkreises Regionalentwicklung statt – ein Gremium, das sich seit Juni 2022 zwei Mal im Jahr im abwechselnden Turnus in den Landkreisen Biberach, Ravensburg und Sigmaringen trifft.
Gespräche, Veranstaltungen und Workshops – die Aktivitäten des Prozessteams in 2024
„Rund 52 Gespräche mit Personen aus unterschiedlichsten Interessenbereichen wurden seit Januar 2024 geführt“ sagt Lisa Polak vom Prozessteam Biosphärengebiet. Das Prozessteam begleitet für die drei Landkreise den Prozess seit September 2022 und ist lokaler Ansprechpartner für Fragen zum Biosphärengebiet.
Lisa Polak zieht weiter Bilanz: Neben kleineren Austauschgesprächen von Angesicht zu Angesicht, fanden auch ein Dutzend Informationsveranstaltungen auf Einladung von Vereinen, Wirtschaftsträgern, Naturschutzverbänden, Kirche und auf Messen statt. Daneben betreue man auch Studienarbeiten oder gibt Unterrichtseinheiten an Hochschulen. Das Interesse von Studenten und Lehrenden am Prüfprozess sei groß.
Den Kern der Arbeit des Prozessteams stellen aber in diesem Jahr die eigenen Workshops dar. Um diese ging es auch beim Dialogkreis in Alleshausen.
Lebensraum Oberschwaben – alles hängt mit allem zusammen
Mit großem Engagement haben sich viele Akteure aus der Region zusammengesetzt und sich Gedanken zu der Zukunft Oberschwabens gemacht, so Franz Bühler vom Prozessteam. Dass so viele unterschiedliche Sichtweisen an einem Tisch zusammenkommen und über zukünftige Risiken und Chancen diskutieren, sei einmalig. Bereits letztes Jahr haben sich Personen zu bestimmten Themen wie Landwirtschaft und Tourismus ausgetauscht, dieses Jahr ging es um Themen wie Moorschutz, Gesundheit, nachhaltige Wirtschaft und Bildung.
Sollte ein Biosphärengebiet zustande kommen, könnten die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse Fördergrundlage werden und konkrete Projekte zu diesen Themen durch eine Servicestelle vorangebracht und betreut werden.
Die einzelnen Themenbereiche sind nicht isoliert zu betrachten, vielmehr bestehen zahlreiche Zusammenhänge – beispielsweise zwischen Bildung für nachhaltige Entwicklung und Moorschutzmaßnahmen. „Alles hängt mit allem zusammen“, zitiert Bühler Alexander von Humboldt. Dies sei auch das Credo einer möglichen zukünftigen Geschäfts- bzw. Servicestelle in einem Biosphärengebiet. Den Blick also auch mal nach links und rechts zu richten und umfassende Wirkungsketten in der Region zu berücksichtigen, die an einer Stelle zusammenzuführen bzw. zu koordinieren sind.
Demokratieförderung durch Bildung für nachhaltige Entwicklung
Dass die Welt nicht Schwarz-Weiß ist, darum geht es auch bei der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“(kurz BNE), erklärt Dieter Giehmann, Leiter der Bürgerakademie Donau-Oberschwaben. Er ist stellvertretend für den Arbeitskreis beim Dialogkreis dabei und stellt die erarbeiteten Ergebnisse vor. BNE findet in Oberschwaben bisher kaum Anwendung, ist aber als Leitbild auf Bundes- und Länderebene verankert. Sie hilft, sich in einer komplexen Welt zurecht zu finden und diese zu verstehen. Dazu sind neben formellen Bildungseinrichtungen wie Schulen und Fachhochschulen auch außerschulische Lernorte auf dem landwirtschaftlichen Hof, im Forst, in der Fischerei und in Unternehmen gefragt, die es Jung und Alt ermöglichen, andere Perspektiven und Lebensweisen kennenzulernen.
Auch gehe es darum, dass sich Schulen, Unternehmen und weitere Institutionen mit der gesamten Belegschaft darüber Gedanken machen, wie sie gesamtheitlich nachhaltiger agieren können – und sich dabei an den UN-Nachhaltigkeitszielen orientieren. In einem Biosphärengebiet würden sie entsprechende Unterstützung erhalten und könnten nach außen mit „Nachhaltigkeit“ werben.
Die Teilnehmenden erhoffen sich zudem durch eine Biosphären-Geschäftsstelle den Aufbau eines BNE-Netzwerkes und Hilfestellung bei der praktischen Umsetzung von BNE-Projekten.
Bei der Gesundheit selber aktiv werden
Dr. Kaluscha vom Institut für rehabilitätsmedizinische Forschung an der Uni Ulm mit Sitz in Bad Buchau sowie Dr. Natalis, Facharzt für Rheumatologie und Orthopädie aus Isny stellten stellvertretend für den Arbeitskreis „Green Care – Gesundheit für Alle“ die Arbeitsergebnisse vor. Ausgetauscht hatten sich hierzu weitere Mediziner, Vertreter von privaten und kommunalen Rehabilitationskliniken, der Rehabilitationsforschung, des Studiengangs Gesundheitsmanagement an der DHBW Ravensburg, der AOK, Touristik und interessierte zukünftige private Gesundheitsanbieter aus der Landwirtschaft.
Alle Teilnehmenden waren sich einig, dass die Gesundheitskompetenzen in der Region schon bei den ganz Kleinen gestärkt werden müssen, damit der Mensch langfristig gesund bleibe und auch wieder gesund werde – sich also aktiv und bewusst für die eigene Gesundheit einsetze. Ganz klar seien die förderlichen Auswirkungen von Tier und Natur auf die Gesundheit und das Wohlbefinden, sowie auf die individuelle und soziale Entwicklung der Menschen. Dafür eignen sich niederschwellige Angebote wie tiergestützte Therapien, Wasser- und Waldtherapien oder pflanzlich orientierte Therapien, die gleichzeitig das Bewusstsein für eine intakte Natur und Umwelt stärken.
Von diesen Gesundheitsangeboten können Reha-Patienten, Gäste und Einheimische profitieren. Auf der anderen Seite können beispielsweise landwirtschaftliche Betriebe eine neue Einkommensquelle generieren oder ein bestehendes Gesundheitsangebot durch begleitende Forschung, Know-How, Marketing und Austausch mit weiteren Gesundheitsanbietern und -akteuren stärken.
Moorschutz – ein Beitrag zur Gemeinschaft
Robert Bauer, Geschäftsführer LEV Ravensburg und Klaus Germann, Landwirtschaftsmeister aus der Gemeinde Wilhelmsdorf, gingen auf die Ergebnisse aus dem Arbeitskreis Moorschutz und Ökosystemleistungen ein. Die hauptsächlich in den 50er und 60er Jahren mühevoll entwässerten Moorstandorte sind heute für viele Landwirtschaftsbetriebe als Futter- und Düngeflächen unabdingbar. Durch die Entwässerung wird jedoch Torf zersetzt, dabei entsteht das für das Klima schädliche Kohlendioxid. Entsprechende Klimaschutzgesetze von EU, Bund und Land sehen deshalb vor, Moorflächen wieder zu vernässen. Wie also aus dem Dilemma zwischen Moorschutz- bzw. Klimaschutzinteressen einerseits und den berechtigten Interessen der Landwirtschaft andererseits herauskommen?
Jetzt ergibt sich frühzeitig die Möglichkeit zu „agieren statt zu reagieren“. Es sei allerhöchste Eisenbahn, vorausschauend Überlegungen anzustellen und Modellprojekte aufzustellen, wie Klimaschutz und Landwirtschaft zukünftig zusammengehen können und zwar profitabel für die Landwirtschaft, bevor diese durch gesetzliche Maßnahmen dazu „gezwungen“ wird.
In diesem Zusammenhang trug Klaus Germann die Forderungen der Landwirtschaft vor, Bestandsschutz für aktive landwirtschaftliche Betriebe zu gewährleisten, indem die betrieblich genutzten Moorflächen weiterhin bewirtschaftet werden können. Ebenso ist ein flexibles Management bei der Regulierung der Wasserstände zu ermöglichen.
Beispiele für die verschiedenen erarbeiteten Modellprojekte sind die „Einrichtung von Demonstrationshöfen oder Partnerbetrieben zur Erprobung der Bewirtschaftung wiedervernässter Flächen“ und eine „Flächentauschbörse Moor unter Einbeziehung von Akteuren wie die Landsiedlung und der Flurneuordnung“. Aufgabe einer Servicestelle wäre hierbei, die verschiedenen Akteure zusammenzubringen, Maßnahmen zu koordinieren sowie für die Thematik zu sensibilisieren und Fachbeiträge zu leisten.
Klimaneutrales Oberschwaben – aus Sicht der Unternehmen und Kommunen
Klimaneutralität und Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen standen im Mittelpunkt des Arbeitskreises „Nachhaltiges Wirtschaften im klimaneutralen Oberschwaben“. Patrick Zembrod, Klimaschutzmanager der Stadt Wangen im Allgäu, und Gottfried Härle von der gleichnamigen Brauerei berichteten übereinstimmend, dass sowohl aus Sicht der Verwaltung als auch der Wirtschaft die Entwicklung eines spezifischen, auf die Region ausgerichteten Nachhaltigkeitsleitbildes eine große Chance sei. Hieraus können passende Maßnahmen für die Region abgeleitet werden. So zum Beispiel eine stärkere Förderung von Bürgerenergiegenossenschaften, um eine Teilhabe aller Bevölkerungsschichten zu ermöglichen.
Aus der Wirtschaft wurde die Sorge vor neuen Vorschriften und Eingrenzung durch ein Biosphärengebiet geäußert, beispielsweise bei Planung und Bau von Anlagen für erneuerbare Energien wie Windräder oder wenn sich ein Unternehmen am Standort ausweiten möchte. Hieraus resultierte die klare Forderung an die Prozessverantwortlichen, Transparenz durch intensivere Öffentlichkeitsarbeit herzustellen, u. a. durch Vorstellung der Gebietskarten für Interessenvertreter, Gemeinderäte und Bürger im Allgemeinen. Als Leitprojekt wurde beispielweise auch die modellhafte Entwicklung von Zertifikaten / Ökowertpapieren genannt, die neben CO2- Einsparung auch Ökosystemleistungen wie Biodiversität oder Hochwasserschutz vergüten.
Karl-Heinz Lieber, Vertreter des Umweltministeriums, bedankt sich bei den Referenten der Arbeitskreise und betont dabei, dass es Kümmerer braucht, die vernetzten und verknüpfen. Ein Biosphärengebiet sei ein Angebot, den Weg in den Wandel frühzeitig zu gestalten. Gerade für eine prosperierende Region wie Allgäu-Oberschwaben biete sich die Möglichkeit, mit Nachhaltigkeit die Zukunft zu gestalten.
Karten kommen Ende März 2025
Jonas Daumann ist seit Herbst 2023 beim Regierungspräsidium Tübingen zuständig für die Ausarbeitung und kartographische Darstellung möglicher Kern-, Pflege und Entwicklungszonen innerhalb des Suchraums. Er stellt einen Überblick über den Zeitplan und die Vorgehensweise bei der Kartenerstellung vor. Kriterien wie Eigentumsverhältnisse, Landnutzung sowie Flächennutzungs- und Regionalpläne werden bei der Kartenerstellung zu Grunde gelegt. Dabei gelten Grundsätze wie „Kernzonen ausschließlich auf Flächen der öffentlichen Hand“ und „Pflegezonen auf Flächen innerhalb von bestehenden Schutzgebieten“, bei Flächen der öffentlichen Hand im Einzelfall auch außerhalb von Schutzgebieten. Anschließend erfolgt die fachliche Abstimmung und Plausibilisierung der Zonierungsentwürfe beispielsweise durch die untere Naturschutzbehörde oder ForstBW.
Im nördlichen Teil des Suchraums ist die Ausarbeitung bereits erfolgt, im südlichen Teil sind die Zonierungsentwürfe in fachlicher Abstimmung oder in Bearbeitung. Die Fertigstellung der fehlenden Zonierungsentwürfe erfolgt bis Dezember 2024. Am 31. März 2025 werden die Karten in einem Online-Kartendienst für die Allgemeinheit veröffentlicht. Zuvor erfolgen Informationsveranstaltungen zur Nutzung des Online-Systems und wie die Karten zu lesen sind.
Bürgermeister Timo Egger ergänzte, dass gerade ein Verfahrensablauf entwickelt wird, der sicherstellen soll, dass alle notwendigen Institutionen und Interessenvertretungen Ihre Meinung zu den Karten äußern können. Wichtig sei, dass der Termin der Kartenveröffentlichung feststeht. „Der nächste Schritt“ so Timo Egger, „ist dann, zu einem konkreten Vorschlag für eine Gebietskulisse zu kommen“. Der Entwurf hierfür wird sich dabei immer wieder „wie ein atmendes System“ verändern.